Dr. Katharina Kellmann

Friedrich Ebert und die Novemberrevolution

Inhaltsverzeichnis

  • Einführung
  • Friedrich Ebert: Vom Arbeitersekretär zum Reichskanzler
  • Die Bildung einer neuen Regierung
  • Das Programm der Volksbeauftragten
  • Ebert als „Regierungschef“
  • Zwischen den Räten und den Militärs
  • Friedrich Ebert: Demokrat, aber kein demokratischer Revolutionär

 

Am 9. November 1918 gab Reichskanzler Prinz Max von Baden die Abdankung des Kaisers bekannt und übertrug seine Amtsgeschäfte an den Sozialdemokraten Friedrich Ebert. Das Deutsche Reich stand vor großen Herausforderungen. Der Krieg war verloren. Im Innern kam es in größeren Städten zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Der Rückzug des Heeres aus den besetzten Gebieten musste organisiert werden. Teile der Bevölkerung forderten einen Neuanfang: Die kaiserlichen Eliten in Wirtschaft und Militär sollten entmachtet werden. In vielen Städten bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte. Die Rufe nach einer Sozialisierung der Wirtschaft wurden lauter.

Demonstration in Berlin im November 1918
ADN-ZB/Archiv
Novemberrevolution 1918 in Deutschland. In Berlin beginnt am Morgen des 9. November 1918 der Generalstreik und der bewaffnete Kampf. Die Soldaten verbrüdern sich mit dem revolutionären Proletariat. Die Monarchie und die kaiserliche Regierung wird gestürzt. Demonstrationen am 9.11. in Berlin, Unter den Linden, in Höhe der Universität, (Unter den begleitenden Kindern befindet sich Arno Munter, dritter Junge von links).

Ebert bildete einen Rat der Volksbeauftragten, der sich aus Vertretern der SPD und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) zusammensetzte. Bis zum Zusammentritt der verfassungsgebenden Versammlung in Weimar am 6. Februar 1919 bestimmte der Vorsitzende der Sozialdemokraten maßgeblich die deutsche Politik (vgl. Grebing 2007, S. 66).

Schon zu Lebzeiten wurde Ebert von links und rechts angefeindet (vgl. Köhler 2002, S. 156). Historiker diskutierten und diskutieren ebenfalls kontrovers seine Bilanz der Übergangszeit (vgl. Rürup, 2020, S. 159). Welche Ziele verfolgte Ebert? Warum arbeitete er eng mit den kaiserlichen Militärs zusammen? Wie groß war sein Handlungsspielraum? Welche Alternativen gab es und wie realistisch waren sie?

Friedrich Ebert: Vom Arbeitersekretär zum Reichskanzler

Ebert hatte im Kaiserreich seine politische Laufbahn in der SPD und den Freien Gewerkschaften begonnen und galt als Mann des gemäßigten Parteiflügels. Er wurde 1871 geboren und erlernte das Sattlerhandwerk. In Bremen machte er als Arbeitersekretär und Parteifunktionär auf sich aufmerksam. 1905 wurde er in den Parteivorstand gewählt und zog mit seiner Familie nach Berlin. 1912 gewann er ein Reichstagmandat. Ein Jahr später wählte die Partei Hugo Haase und ihn zu Parteivorsitzenden.

Ebert war ein geschickter Organisator. Theoretische Diskussionen lagen ihm weniger. Friedrich Ebert verkörperte den Typ des pragmatischen Sozialdemokraten, der im wilhelminischen Kaiserreich erlebt hatte, dass die stärkste deutsche Partei immer einflussreicher wurde, aber auch an Grenzen stieß (vgl. Grebing, 2007, S. 68). Für ihn war organisatorische Disziplin ein wichtiges Mittel, um den Einfluss der Sozialdemokratie zu vergrößern und jene Grenzen zu überwinden, die die Arbeiterschaft an der gleichberechtigten Mitwirkung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hinderten (vgl. Ebert Werke Band 1, S. 278).

Im Laufe des Ersten Weltkrieges konnte er sich in ganz Deutschland einen Namen machen (vgl. Mühlhausen, 2020, S. 49) Friedrich Ebert trat für grundlegende Reformen ein. Vor einem Bruch mit der kaiserlichen Regierung schreckte er zurück. Sein Ziel war der demokratische Volksstaat mit monarchischer Spitze. Der Kaiser sollte jedoch nur noch repräsentative Aufgaben übernehmen (vgl. Schulze 1998, S. 161).

1917 hatte die Parteispitze öffentlich erklärt, dass man bereit wäre, eine parlamentarische Monarchie zu akzeptieren, wenn die Mehrheit der Deutschen dies wünscht. Sozialdemokraten, die mit der gemäßigten Politik der Partei unzufrieden waren, hatten 1917 die USPD gegründet. In der Arbeiterschaft konnten die Unabhängigen mit ihren Forderungen nach einem sofortigen Friedensschluss und grundlegenden demokratischen Reformen immer mehr Anhänger gewinnen. Bei Massenstreiks im Januar 1918 musste die Führung der SPD feststellen, dass ihr Einfluss geringer geworden war (vgl. Mühlhausen 2020, S. 48; Schulze 1998, S. 157).

Als sich die innenpolitische Lage 1918 zuspitzte, erinnerte Friedrich Ebert seine Parteifreunde am 23. September noch einmal an die Entwicklung in Russland und warnte vor revolutionären Umwälzungen. Zusammen mit den bürgerlichen Kräften müsse man Reformen durchsetzen (vgl. Kolb 1978, S. 29).

Am 29. September 1918 leitete Wilhelm II. auf Druck der Obersten Heeresleitung die Parlamentarisierung des Reiches ein. Neuer Reichskanzler wurde Max von Baden, ein liberaler Aristokrat (vgl. Eschenburg 1984, S. 184). Als Vorsitzender der SPD begrüßte Friedrich Ebert im Oktober im Reichstag diese Reformen. Sie bestärkten ihn in der Auffassung, dass der Parlamentarismus der Arbeiterbewegung die Möglichkeit bot, ihre Ziele durchzusetzen. Zwei sozialdemokratische Staatssekretäre, Philipp Scheidemann und Gustav Bauer, traten in das Kabinett des Reichskanzlers ein. Scheidemann hatte sich zuerst gegen eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen, aber Ebert konnte sich durchsetzen (vgl. Eschenburg 1984, S. 48).

In der Fraktion und im Parteivorstand wuchsen jedoch die Zweifel an der Politik des Parteivorsitzenden. Ebert wollte aus pragmatischen Gründen die Hohenzollerndynastie erhalten (vgl. Mühlhausen, 2020, S. 52). Die Führung der SPD geriet immer mehr unter Druck, da die USPD und linksradikale Kräfte das Ende der Monarchie und ein sofortiges Kriegsende forderten. (vgl. Kolb 1998, S. 32).

Ende Oktober 1918 kam es in Kiel zu einer Meuterei in der Hochseeflotte. Die Matrosen lehnten es ab, mit ihren Schiffen auszulaufen, um der englischen Flotte in der Nordsee eine letzte Seeschlacht zu liefern. In Kiel übernahm ein Arbeiter- und Soldatenrat die vollziehende Gewalt. Ebert entsandte Gustav Noske in die Küstenstadt, wo er am 4. November 1918 zum Vorsitzenden des Rates gewählt wurde. Er konnte aber nicht verhindern, dass sich die Erhebung in Deutschland ausbreitete.

In den nächsten Tagen bildeten sich in vielen deutschen Städten Arbeiter- und Soldatenräte, die in der Regel ohne Gegenwehr die Kontrolle über die öffentliche Gewalt übernahmen (vgl. Bernstein 1998, S. 238). Am 7. November 1918 verzichtete König Ludwig III. von Bayern als erster deutscher Bundesfürst auf seinen Thron. In den nächsten zwei Tagen brach die monarchische Ordnung in Deutschland endgültig zusammen. Regierende Fürsten mussten ihre Residenzen verlassen und sich in Sicherheit bringen.

In Berlin riefen die USPD und der kommunistische Spartakusbund am 9. November 1918 zu einem Generalstreik auf. Die sozialdemokratischen Staatssekretäre erklärten am Vormittag ihren Rücktritt. Prinz Max von Baden drängte den Kaiser, der sich im Hauptquartier der Obersten Heeresleitung im belgischen Spa aufhielt, verzweifelt zur Demission. Gegen Mittag erschienen Ebert, Scheidemann und mehrere führende Sozialdemokraten in der Reichskanzlei. Prinz Max von Baden übergab gab schließlich die Abdankung des Monarchen bekannt und übergab seine Amtsgeschäfte an Friedrich Ebert.

Zusammen mit seinen Parteifreunden Scheidemann und Landsberg bot Friedrich Ebert in einem Aufruf der USPD eine Beteiligung an. Ebert machte aber unmissverständlich klar, dass der Rat der Volksbeauftragten die Aufgabe hat, möglichst schnell Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung herbeizuführen. Männer und Frauen, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten, wurde das Wahlrecht zugesagt. Die drei Sozialdemokraten betonten die Notwendigkeit einer funktionierenden Verwaltung und lehnten unrechtmäßige Eingriff in das Privateigentum ab (vgl. Dok. 21 Aufruf der Reichsregierung vom 9. 11. 1918 in Ritter/Miller 1975, S. 81).

Die Bildung einer neuen Regierung

Zwischen der SPD und der USPD begannen noch am Samstag Gespräche über eine Zusammenarbeit in der Regierung. Am Samstagabend nahm der Vorstand der SPD Stellung zu den Forderungen der Unabhängigen. Die Sozialdemokraten bekannten sich zur sozialistischen Republik (vgl. Dok. 528 in Ursachen und Folgen 1959, S. 5). Sie hielten aber im Gegensatz zu den Linkssozialisten daran fest, dass möglichst schnell Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung stattfinden sollten. Die USPD antwortete am 10 November 1918. Sie war bereit, in ein Kabinett einzutreten. Die Arbeiter- und Soldatenräte sollten Träger der Souveränität sein; sie sollten möglichst schnell zu einer „Vollversammlung aus dem ganzen Reiche“ zusammentreten. „Die Frage der Konstituierenden Versammlung wird erst bei einer Konsolidierung der durch die Revolution geschaffenen Zustände aktuell und soll deshalb späterer Erörterung vorbehalten bleiben.“ (Dok. 528a in Ursachen und Folgen 1959, S. 7).

Die SPD ging nach kurzen Beratungen darauf ein (vgl. Bernstein 1998, S. 77). Die grundlegende Frage nach dem Wahltermin, die über das weitere Schicksal der Revolution entschied, blieb aber ausgeklammert.

Am Nachmittag trafen sich 3000 Delegierte der Arbeiter- und Soldatenräte aus dem Berliner Raum im Zirkus Busch. Friedrich Ebert, Hugo Haase und Karl Liebknecht, der noch der USPD angehörte, aber offen mit den Bolschewisten sympathisierte, sprachen zu den Delegierten.

Die Versammlung wählte außerdem einen „Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrates Groß-Berlins“, der sich aus 12 Vertretern der Arbeiterräte und 12 Mitgliedern der Soldatenräte zusammensetzte. Er sollte den „Rat der Volksbeauftragten“ kontrollieren, dem drei Sozialdemokraten (Ebert, Scheidemann, Landsberg) und drei Unabhängigen Sozialdemokraten (Haase, Dittmann und Barth) angehörten. Die Reichsämter wurden weiter von Staatssekretären geleitet, die noch aus dem alten Regime kamen. Sie akzeptierten aber die Republik und schienen aufgrund ihrer Fachkenntnisse unersetzlich zu sein (vgl. Bernstein 1998, S. 81).

Am 11. November 1918 trat zwischen dem Deutschen Reich und den Alliierten ein vorläufiger Waffenstillstand in Kraft.

Das Programm der “Volksbeauftragten”

Am 12. November verkündeten die „Volksbeauftragten“ ein Programm mit ersten Maßnahmen. Der Belagerungszustand wurde aufgehoben, ebenso die Beschränkungen des Vereins- und Versammlungsrechts. Die Zensur fiel weg und eine Amnestie für politische Straftaten stellte die neue Regierung in Aussicht. Die „Volksbeauftragten“ erklärten das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst bis auf wenige Regelungen für ungültig. Sie schafften die preußische Gesindeordnung ab und führten Arbeiterschutznormen wieder ein, die man mit Kriegsbeginn außer Kraft gesetzt hatte. Ferner wurde mit dem 1. Januar 1919 der Acht-Stundentag verbindlich. Zu den weiteren sozialpolitischen Sofortmaßnahmen gehörten die Erwerbslosenfürsorge und die Ausweitung der Krankenversicherungspflicht. Am Schluss führten die „Volksbeauftragten“ das Frauenwahlrecht ein: Fortan sollten alle Wahlen im Reich allgemein, gleich, frei, direkt und geheim sein. Die undemokratischen Wahlrechtsverordnungen, die in Bundesstaaten wie Preußen oder Sachsen die Arbeiterschaft benachteiligt hatten, gehörten damit der Vergangenheit an. Der „Rat der Volksbeauftragten“ betrachtete die Versorgung mit Lebensmitteln als wichtiges Ziel und lehnte unkontrollierte Sozialisierungen ab (vgl. Dok. 533 Regierungsprogramm des Rats der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 in Ursachen und Folgen 1959, S. 11 – 12).

Die neue Regierung war gebildet – die Revolution schien gesiegt zu haben. Doch schon im November musste sich Ebert gegen Kritik aus der Arbeiterschaft zur Wehr setzen.

Ebert als „Regierungschef“

Ebert blieb in den nächsten Wochen bei der Linie, die er am 9. November 1918 vorgab und die auch den Aufruf vom 12. November 1918 prägte. Er sah sich als Chef einer Übergangsregierung, die Wahlen vorbereiten musste. Hinzu kamen Probleme, die als Folgen eines verlorenen Krieges die innere Stabilität gefährdeten: die Rückführung und Demobilisierung des Heeres, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Kohle, die Umstellung der Wirtschaft und nicht zuletzt die Erfüllung der harten Bedingungen des vorläufigen Waffenstillstandes. Der Vorsitzende der SPD versuchte daher, den Einfluss des „Vollzugsrates“ auf die Regierungsarbeit einzuschränken (vgl. Ebert Werke Band 2, 1926, S. 115).

Friedrich Ebert als Reichspräsident
Die Aufnahme zeigt Friedrich Ebert als Reichspräsident kurz vor seinem Tod (Bundesarchiv, Bild 102-00015 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons).

 

Am 1. Dezember 1918 sagte in einer Volksversammlung: „Politische Freiheit ist Demokratie auf der festen Grundlage der Verfassung und des Rechts. Diese Demokratie unerschütterlich zu festigen, ist Aufgabe der Nationalversammlung, zu der wir am 16. Februar wählen werden. Auf Recht und Vernunft soll die junge deutsche Volksrepublik aufgebaut werden.“ (Ebert Werke Band 2, 1926, S. 121)

Zu diesem Zeitpunkt wuchs innerhalb der Arbeiterschaft und den Arbeiter- und Soldatenräten die Kritik an der Politik des „Rats der Volksbeauftragten“. Man warf Ebert vor, die von großen Teilen der Arbeiterklasse geforderte Verstaatlichung von Schlüsselindustrien zu verzögern. Am 18. November 1918 beschloss der „Rat der Volksbeauftragten“ Betriebe zu sozialisieren, die dafür geeignet waren. Eine Kommission, bestehend aus Nationalökonomen, Vertretern der Unternehmer und Arbeiterschaft sollte darüber beraten (vgl. Ebert Werke Band 2 1926, S. 105).

In seiner Rede am 1. Dezember hielt Friedrich Ebert seinen Kritikern entgegen:

„Von links her wird behauptet, man müsse erst sozialisieren und dann wählen; das Volk sei angeblich zum Wählen noch nicht reif. Solch junkerliche Geringschätzung des Volkes steht Proletariern schlecht zu Gesicht. Diese Parole ist ebenso unsinnig wie gefährlich. Sozialistische Experimente in einzelnen Betrieben können nur zum Schaden der Arbeiter und Diskreditierung des Sozialismus ausschlagen. Sozialismus bedeutet die planmäßige Ordnung der Wirtschaft durch die Gesamtheit, zum Nutzen der Allgemeinheit. Sozialismus schließt jede Willkür aus, er ist Ordnung auf höchster Basis; Unordnung, persönlicher Wille und Gewalttat sind Todfeinde des Sozialismus.“ (Ebert Werke Band 2 1926, S. 123)

Zwischen den Räten und den Militärs

Diese Sätze beschreiben Eberts Politik zwischen dem 9. November 1918 und dem Zusammentritt der Weimarer Nationalversammlung. Sie befähigte ihn, das Land in schwierigen Zeiten zu führen. Sie hatte aber auch einen Tunnelblick zur Folge, der dazu führte, dass der Vorsitzende der größten Arbeiterpartei in Europa die Zusammenarbeit mit ehemaligen kaiserlichen Exzellenzen suchte und in den Arbeiter- und Soldatenräten eine Gefahr erblickte. Dabei glaubte Ebert, so das Erfurter Programm der Sozialdemokratie aus dem Jahr 1891 umzusetzen. Immer wieder berief er sich darauf, zum Beispiel in der schon erwähnten Rede vom 1. Dezember 1918. Ebert zitierte eine Passage, in der es heißt, die Sozialdemokratie lehne jede Klassenherrschaft und jede Art der Ausbeutung unabhängig von Rasse, Partei, Geschlecht oder Klasse ab (vgl. Ebert Werke Band 2 1926, S. 121). Daraus zog er die Schlussfolgerung, dass Räte, die nur einen Teil der Bevölkerung repräsentierten und damit eine zweifelhafte demokratische Legitimation besaßen, nicht über die Geschicke der Nation bestimmen könnten.

Die Fixierung auf den parlamentarischen Weg, verbunden mit der Furcht vor einem linksradikalen Putsch, ließ Ebert in den Arbeiter- und Soldatenräten, vor allem aber im „Vollzugsrat“ nur Störfaktoren, wenn nicht Gegner sehen. Hinzu kam seine Sorge um eine funktionierende Verwaltung, die gerade in Krisenzeiten wichtig war (vgl. Dok. 14 Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Vollzugsrat und Rat der Volksbeauftragten am 18.11.1918 in Ritter/Miller 1975, S. 113). Aufzeichnungen Eberts aus der Zeit zwischen dem 15. November 1918 und dem 13. Dezember 1918 bestätigen, dass der Sozialdemokrat einen wachsenden kommunistischen Einfluss fürchtete (vgl. Ebert Werke Band 2 1926, S. 104).

Die Grundsatzentscheidung für eine repräsentative Demokratie war gefallen. Das musste keine Restauration bedeuten. Aber Ebert verfolgte im Dezember eine Politik, die Fragen aufwirft.

Ein Politiker, der sich als Demokrat und Sozialist verstand, schenkte nun Militärs und höheren Beamten sein Ohr, die ihn dazu überreden wollen, sich gegen Arbeiter- und Soldatenräte zu wenden, in denen viele Vertreter der Mehrheitssozialdemokratie vertreten waren – nichts verdeutlicht mehr den Schlingerkurs, den Ebert steuerte. Die Offiziere schienen ihm näher zu stehen als Teile der eigenen Partei.

Dabei hatte Ebert erkannt, dass die junge Republik sich auf loyale Sicherungskräfte verlassen musste. Anfang Dezember hatte er im „Rat der Volksbeauftragten“ gegen die Stimmen der USPD die „Schaffung einer Volkswehr auf demokratischer Grundlage“ durchgesetzt (Ebert Werke Band 2 1926, S. 110).

Das Vorhaben wurde zur organisatorischen Umsetzung an das preußische Kriegsministerium verwiesen – wo es im Geschäftsgang endete.

Der Allgemeine Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, auch Reichsrätekongress genannt, tagte vom 16. bis zum 20. Dezember 1918. Die SPD stellte mehr als die Hälfte der Delegierten; der kommunistische Spartakus konnte nur wenige Mandate erringen. Mit großer Mehrheit beschloss die Versammlung, für den 19. Januar 1919 Wahlen für eine Nationalversammlung anzusetzen. Außerdem forderten die Delegierten die Sozialisierung von Industriebetrieben und eine grundlegende Militärreform. Die Truppe sollte sich ihre Offiziere wählen können (vgl. Dok. 5 Beschluss des Rätekongresses zur Kommandogewalt – sieben Hamburger Punkte – vom 18.12.1918 in Ritter/Miller 1975, S. 155-156).

Die Oberste Heeresleitung lief Sturm gegen diese Pläne (vgl. Dok. 6 Telegramm Hindenburgs an die Armeeoberkommandos in Ritter/Miller 1975, S. 156). Wie groß die Abhängigkeit Eberts von den Militärs geworden war, zeigten die Ereignisse vom 23./24. Dezember in Berlin.

In der Reichshauptstadt forderte die Volksmarinedivision die Auszahlung ihrer Löhnung. Außerdem wehrten die Soldaten sich gegen die Reduzierung der Einheit. Am 23. Dezember 1918 machte der Stadtkommandant, der Sozialdemokrat Otto Wels, das Angebot, 80 000 Mark auszuzahlen. Ab Januar stünde jedoch nur der Sold für eine verringerte Truppe zur Verfügung. Warum es nicht dazu kam, dass die Soldaten ihr Geld erhielten, ist umstritten. Wels wurde unter Arrest genommen. Friedrich Ebert rief regierungstreue Truppen aus der Umgebung Berlins zur Hilfe. Obwohl Wels um drei Uhr morgens freigelassen wurde, kam es in den nächsten Stunden zu heftigen Kämpfen. Den Truppen Eberts gelang es nicht, das von der Marinedivision gehaltene Gebäude zu stürmen. Bis in den Vormittag des Heiligabends wurde gekämpft. Die USPD schied daraufhin am 29. Dezember 1918 aus dem „Rat der Volksbeauftragten“ aus. Die Sozialdemokraten Gustav Noske und Rudolf Wissel nahmen ihre Plätze ein.

Zwischen dem 5. Januar und dem 13. Januar 1919 kam es in Berlin zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen. Linksradikale Kräfte versuchten, die Macht an sich zu reißen. Für den bewaffneten Kampf setzten sich die Kommunisten Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck ein; der ehemalige Vorsitzende des „Vollzugsausschusses“ Richard Müller von der USPD sprach sich dagegen aus. Der „Rat der Volksbeauftragten“ erhielt vom „Zentralausschuss“ (seit dem Rätekongress der Nachfolger des „Vollzugsrates“) die Ermächtigung, Truppen einzusetzen. Zwei Tage nach dem Ende der Kämpfe ermordeten regierungstreue Soldaten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Wahlen zur Nationalversammlung am 19.1.1919. Wahlpropaganda-Korso der Sozialdemokraten in Berlin (Bundesarchiv, Bild 146-1972-001-21 / Gebrüder Haeckel / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons).

Am 19. Januar 1919 fanden in Deutschland die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung statt. 83 % aller Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Die Sozialdemokraten erhielten 37,9 % und stellten die stärkste Fraktion, gefolgt vom katholischen Zentrum mit 19,7 %. Die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) erreichte 18,5 %. Auf Platz vier folgte die rechtskonservative Deutschnationale Volkspartei mit 10,3 %. Die USPD landete mit 7,6 % auf Rang 5 vor der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP). Die am 1. Januar 1919 gegründete Kommunistische Partei Deutschlands hatte an den Wahlen nicht teilgenommen.

Friedrich Ebert: Demokrat, aber kein demokratischer Revolutionär

Die Frage, ob Ebert und die Sozialdemokratie 1918/19 es versäumten, in der Übergangszeit die Fundamente für eine lebensfähige demokratische Ordnung zu legen, wird oft im Wissen um das Ende der ersten deutschen Demokratie gestellt. Hätte Weimar eine größere Chance gehabt, wenn man entschiedener gegen die konservativen Eliten im Militär, in der Wirtschaft und in der Verwaltung vorgegangen wäre? (vgl. Rürup 2020, S. 170). Kritiker wie Reinhard Rürup würdigen die Leistungen des Vorsitzenden des Rats der Vollzugsbeauftragten als Krisenmanager, werfen ihm jedoch vor, die Chance für grundlegende Reformen vertan zu haben. Ebert hätte sich nur als Konkursverwalter, nicht aber als demokratischer Revolutionär verstanden (vgl. Rürup 2020, S. 179). Vor allem hätte er das demokratische Potenzial der Rätebewegung nicht erkannt (vgl. Rürup 2020, S. 135).

Richard Löwenthal brachte der Position Eberts bei aller grundsätzlichen Kritik mehr Verständnis entgegen:

„Der Versuch, eine freiheitlich-demokratische Verfassung ohne Angriff auf den vordemokratischen und im Effekt antidemokratischen Staatsapparat einzuführen, entsprach in all seiner Widersprüchlichkeit den widersprüchlichen Bedürfnissen breiter Massen, die sich zugleich nach einer neuen Freiheit und nach Kontinuität ihrer Lebensordnung und des sie sichernden (alten) administrativen Rahmens sehnten. Um dieses überstarken Bedürfnisses nach Kontinuität willen, das alle hochindustriellen Gesellschaften kennzeichnet, wurde 1918/19 und abermals 1920 das versäumt und direkt verhindert, was Deutschland zu einer wirklich lebensfähigen Demokratie hätte machen können.“ (Löwenthal in Grebing 2008, S. 177)

Die Frage, was wäre wenn, also kontrafaktisches Denken, ist legitim, wenn man Alternativen diskutiert, die in der fraglichen Zeiten eine Rolle gespielt haben. Schon zeitgenössische Beobachter fiel auf, dass Ebert sich immer mehr auf das Militär stützte und blind zu sein schien für die Gefahr einer Konterrevolution. Die Vergesellschaftung der Kohleindustrie wurde nicht nur von der sozialdemokratischen Arbeiterschaft, sondern auch von Liberalen wie dem Gewerkschafter Anton Erkelenz oder dem Kultursoziologen Alfred Weber gefordert. Allerdings gingen sie davon aus, dass dies im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie erfolgen müsse.

Friedrich Ebert sah sich als demokratischer Sozialist. Das Erfurter Programm von 1891 blieb seine Richtschnur. Die Sozialdemokraten waren davon überzeugt, dass das kapitalistische System an seinen Widersprüchen zugrunde gehen würde. Das Privateigentum an Grund und Boden und an Rohstoffen müsse in Gemeineigentum überführt werden. Die Sozialdemokratie wollte aber keine sozialistische Diktatur erreichen, sondern sah sich als demokratische Kraft, die gegen jede Form der Willkürherrschaft Stellung bezieht. Freie Wahlen nach dem allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Stimmrecht, Volksentscheide, die Gleichstellung von Mann und Frau, die Trennung von Kirche und Staat und die Abschaffung der Todesstrafe, um nur einige Forderungen zu nennen, gehörten zu ihrem Programm.

Mit diesem geistigen Koordinatensystem sollte er als Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten das Deutsche Reich vor einem Kollaps bewahren. Doch es machte ihn auch blind für drohende Gefahren. Die Zusammenarbeit mit den Militärs in den ersten Wochen nach dem 9. November 1918 war wichtig. Wäre es nicht gelungen, das Feldheer innerhalb kurzer Zeit in die Heimat zurückzuführen, so wären die Soldaten nach den Bestimmungen des vorläufigen Waffenstillstandes in Gefangenschaft geraten. Die beiden sozialdemokratischen Parteien hätten sich dafür in der Öffentlichkeit verantworten müssen. Nicht nachvollziehbar dagegen ist das fast schon naiv zu nennende Vertrauen, das Ebert und Teile der SPD der Obersten Heeresleitung entgegen brachten und das Misstrauen, mit dem sie den Arbeiter- und Soldatenräten begegneten.

Der Vorwurf, Ebert hätte die Sozialisierung in diesem Stadium der Revolution verschleppt, wird meiner Meinung nach zu Unrecht erhoben. Als Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten leitete er die ersten Schritte ein. Angesichts der wirtschaftlichen Probleme, die mit der Demobilisierung einher gingen, vor allem aber angesichts der gefährdeten Versorgung mit Lebensmittel und Brennmaterial wäre es unverantwortlich gewesen, sofort mit der Vergesellschaftung zu beginnen. Und hätten nicht später bürgerliche Mehrheiten die Sozialisierungen rückgängig machen können? Wenn man im Zusammenhang mit der Revolution 1918/19 und der Weimarer Demokratie über Alternativen nachdenkt, sollte man auch diesen Aspekt berücksichtigen.

Friedrich Ebert hätte mehr für die Fundamente der jungen Republik hätte tun können. Als „Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten“ hätte er der Obersten Heeresleitung nicht so viel Spielraum gewähren dürfen. Seine Haltung gegenüber den Arbeiter- und Soldatenräten trug zur Spaltung zwischen SPD und USPD und damit des demokratischen Lagers bei. Er überschätzte die Gefahr von links.

Es wäre aber falsch, Friedrich Ebert jedes Verdienst abzusprechen. Er übernahm die Regierungsgeschäfte in sehr schwierigen Zeiten und trug maßgeblich mit dazu bei, dass große tagespolitische Herausforderungen bewältigt wurden. Dies verdient bei aller berechtigten Kritik Respekt.

 

Weiterführende Informationen:

Revolution 1918/19 – Novemberrevolution – Zusammenfassung – Unterricht – Unterrichtsmaterial – politische-bildung.de

Das Ende der Hohenzollernmonarchie — Dr. Katharina Kellmann (katharinakellmann-historikerin.de)

 

 

Gedruckte Quellen

Nils Freytag (Hrsg.): Quellen zur Innenpolitik der Weimarer Republik 1918 – 1933, Darmstadt 2010

Herbert Michaelis, Ernst Schraepler (Hrsg.): Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Eine Urkunten- und Dokumentensammlung zur Zeitgeschichte. Band 3: Der Weg in die Weimarer Republik, Berlin 1959

Gerhard Ritter, Susanne Miller (Hrsg.): Die deutsche Revolution 1918 – 1919, 2. erheblich erweiterte und überarbeitete Ausgabe, Hamburg 1975

 

Literatur

Peter Brandt, Deutschland 1918/19 – Revolution und Konterrevolution, in: Helga Grebing (Hrsg.): Die deutsche Revolution 1918/19, Berlin 2008, S. 283 – 304

Peter Brandt, Detlev Lehnert (Hrsg.): Reinhard Rürup, Revolution und Demokratiegründung. Studien zur deutschen Geschichte; Göttingen 2020

Ursula Büttner, Weimar – die überforderte Republik 1918 – 1933, in: Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. 10., völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart 2010, S. 173 – 812

Friedrich Ebert, Schriften, Aufzeichnungen, Reden, Band 1 und 2, Dresden 1926

Theodor Eschenburg, Die Republik von Weimar. Beiträge zur Geschichte einer improvisierten Demokratie, 2. Aufl. München 1985

Sebastian Haffner, 1918/19. Eine deutsche Revolution, Hamburg 1984

Henning Köhler, Deutschland auf dem Weg zu sich selbst. Eine Jahrhundertgeschichte, Stuttgart, Hohenheim 2002

Eberhard Kolb, Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918 – 1919, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1978

Ulrich Kluge, Die deutsche Revolution 1918, Frankfurt/M. 1985

Joachim Knäpper, 1918. Aufstand für die Freiheit. Die Revolution der Besonnenen, München 2017

Richard Löwenthal, Die Deutsche Sozialdemokratie in Weimar und heute. Zur Problematik der „versäumten“ demokratischen Revolution, in: Helga Grebing (Hrsg.): Die deutsche Revolution 1918/19, Berlin 2008, S. 171 – 186

Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert 1871 – 1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, Bonn 2006

Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert, 2. verb. u. erweiterte Aufl., Bonn 2020

Arthur Rosenberg, Geschichte der Weimarer, Hamburg 1991

Hagen Schulze, Weimar. Deutschland 1917 – 1933, Berlin 1998

Heinrich August Winkler (Hrsg.): Eduard Bernstein – Die deutsche Revolution 1918/19. Geschichte der Entstehung und ersten Arbeitsperiode der deutschen Republik, Bonn 1998

 

Überarbeitete und gekürzte Fassung eines Beitrages, der 2021 zum ersten Mal veröffentlicht wurde.